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Das neue Jahr bringt nicht nur Vorsätze

Bild von Markus Kohm

Wer auf komascript.de aufmerksam mitliest, weiß schon länger, dass einige Entscheidungen anstanden und teilweise noch anstehen. Diese sollen dringend notwendige Veränderungen für mich mit sich bringen, haben aber natürlich auch Auswirkungen auf die Anwender. Mit dem neuen Jahr – oder eigentlich bereits kurz vor Weihnachten – sind die meisten dieser Entscheidungen gereift.

Seit mehr als 25 Jahren entwickle und pflege ich KOMA-Script quasi als One-Man-Show. So ganz stimmt das natürlich nicht, denn schon sehr früh bekam ich erste Unterstützung. Damals übernahm Luzia den Upload von KOMA-Script auf den CTAN-Server, weil es für mich extrem umständlich war, per Modem und VT220-Terminal-Zugang zur Uni das damals schon nicht kleine Paket zuerst auf meinen Benutzeraccount an der Uni zu übertragen und dann per ftp auf den CTAN-Server. Axel/Harald schrieb die erste vollständige Anleitung zu KOMA-Script. Der andere Axel steuerte die erste Briefklasse bei. Jahre später investierte Jens-Uwe sehr viel Zeit, die Überarbeitung der Anleitung und die Veröffentlichung als Buch zu betreuen und auch einige Kapitel der neuen Anleitung beizusteuern. Torsten wurde in dieser Zeit unverzichtbar als Ratgeber bei der Entwicklung einer komplett neuen Briefklasse aber auch bei der fortgesetzten Korrektur der Anleitung. Wenige Jahre später wurde Elke für die Weiterentwicklung des Pakets und die Korrektur der Anleitung und der Buchfassung aber auch für den Support im Allgemeinen unverzichtbar. Falk wiederum findet seit Jahren die Fehler, die so tief in KOMA-Script vergraben sind, dass ihre Beseitigung mir immer wieder erhebliche Kopfschmerzen bereitet. Dasselbe gilt für die vielen Anregungen und Erweiterungen, die auf ihn zurück gehen. Uwe hat seit der Jubiläumstagung von DTANE in Heidelberg die Verwaltung der CTAN-Uploads übernommen. Nach Elke, die die komplette Familie dafür eingespannt hat, haben zunächst unter anderem Gernot, dann Krickette und schließlich Karl sich der Übersetzung der KOMA-Script-Anleitung angenommen und diese massiv überarbeitet. Viele weitere stießen im Laufe der Jahrzehnte zum inoffiziellen Team, manche sind wieder in der Versenkung verschwunden. Ohne die ganzen Mitstreiter wäre die Arbeit aber auch der immer wieder entstehende Frust nicht zu bewältigen gewesen. Eine wichtige Rolle haben dabei natürlich auch diejenigen gespielt, die mich auf unterschiedliche Weise aufgemuntert und ermutigt haben. Eine zentrale Rolle spielte auch meine Familie, die mir überhaupt ermöglicht haben, Jahre in die Entwicklung und Pflege dieses Monsters zu stecken.

Neben den ganzen Arbeiten an KOMA-Script habe ich seit mehr als 30 Jahren auch allgemeinen LaTeX-Support geleistet. Auch dieser Bereich unterlag in den 25 Jahren vielfältiger Veränderung. Anfangs erfolgte der Support noch per Post und in einem Mailbox-Netz, in dem Laufzeiten von 12–24 Stunden für E-Mails und öffentliche Beiträge normal waren. Damals hat kaum jemand erwartet, innerhalb weniger Stunden oder gar Minuten eine fertige Lösung zu erhalten. Inzwischen findet der Support hauptsächlich in WWW-Foren statt. Davon gibt es Dutzende, deren Bezug zu LaTeX teilweise sehr klar, teilweise aber auch sehr undeutlich ist. Zeitweilig war ich in bis zu neun dieser Foren gleichzeitig aktiv. Dazu kamen Mailinglisten und Usenet-Gruppen. In mehreren Foren war ich auch als Moderator oder Administator tätig. Gerade die WWW-Foren verleiten extrem dazu, sich mit Dingen zu beschäftigen, die vor allem Zeit kosten und mit meiner Kernkompetenz – so ich eine solche überhaupt habe – wenig zu tun haben. Persönlich lagen und liegen mir dort Anfänger sehr am Herzen. Immer wieder habe ich auch gegen besseres Wissen versucht, solche an die Hand zu nehmen und ihnen bei ihrem mehr als holprigen Start in die Welt der Foren und die LaTeX-Welt zu helfen. Manchmal zerrte das erheblich an den Nerven. Denn genau genommen bin ich dabei komplett fehlt am Platz. Ich nehme mir viel zu sehr zu Herzen, wenn ich es nicht schaffe, jemanden auf die Erfolgsspur zu bringen.

Auch die Arbeit am Monster hat sich über die Jahre verändert. Auch da wird inzwischen teilweise erwartet, dass die Lösung eines Problems nicht nur vom Himmel fällt, sondern den Boden bereits in dem Moment erreicht, in dem ein wage Ahnung des Problems wie ein laues Lüftchen durch die Baumwipfel der Kalahari zieht. Würde mich nicht hin und wieder jemand auf das Rauschen der Blätter hinweisen oder mir den Wind hinter der Luftbewegung zur Kenntnis bringen, würde ich oftmals nicht einmal die Bäume finden. Auf der anderen Seite hat beispielsweise die Entwicklung von LaTeX nach Jahren des Stillstands derart an Fahrt aufgenommen, dass ich ständig hinter irgendwelchen Veränderungen, die Auswirkungen auf KOMA-Script haben, her hechle. In den Anfangsjahren von KOMA-Script hatte ich mich noch schlicht geweigert, Interna von LaTeX anzutasten. Trotzdem wurde ich schon damals von Änderungen an LaTeX manchmal überfahren, wenn Dinge, die KOMA-Script selbst anbot, plötzlich in den LaTeX-Kern übernommen wurden. Bei KOMA-Script 3 war es unvermeidbar, einige Interna von LaTeX anzupacken, obwohl ich schon damals befürchtete, dass mir das irgendwann auf die Füße fallen könnte. Das geschieht inzwischen. Gleichzeitig ist KOMA-Script so riesig geworden, dass es erheblichen Aufwand bedeutet, allein schon eine Ahnung davon zu bekommen, was sich wo auswirken könnte. Die Art der Auswirkung und ggf. die Lösung von daraus entstehenden Problemen ist dann noch lange nicht gefunden.

Trotz beruflicher Reduktion und schließlich komplettem Rückzug hat all das schon seit Jahren zu einem latenten Gefühl der ständigen Überlastung geführt. Ein Zustand, den ich durchaus schon einmal kannte und den ich inzwischen dringend zu vermeiden suche. Schon länger weiß ich, dass sowohl meine Zeit als auch meine Energie nicht genügen, um all die Dinge, die ich gefühlt tun sollte, die man von mir erwartet und die ich tatsächlich tun will, auch wirklich zu schaffen. Schon vor längerer Zeit habe ich deshalb diversen Foren den Rücken gekehrt. Manchmal fiel das eher schwer, manchmal wurde es durch unschöne Vorfälle wie den Nazivorwurf an mehr oder weniger alle deutschen Teilnehmer auf TeX.SX sehr erleichtert. Eine Verletzung, die ich gerne als Sportverletzung bezeichnen würde, die aber tatsächlich eher meiner Eitelkeit und Ungeduld zuzuschreiben ist, behindert mich darüber hinaus leider nach über einem Jahr noch immer bei meiner Arbeit am Computer. Ende Oktober, Anfang November musste ich mir dann eingestehen, dass alle Kompensationsversuche und alle bisherigen Reduktionsversuche nicht genügten. Die überraschend dringlichen Arbeiten an der siebten Auflage des KOMA-Script-Buchs reichte aus, mich ins Straucheln zu bringen. Dass ich in dieser Situation auch noch mit dem Wiederaufflammen von alten Anfeindungen konfrontiert wurde, deren tiefere Ursache ich in den Lizenzdiskussion – einem der unsäglichen Nebenschauplätze, welche die KOMA-Script-Entwicklung leider mit sich brachte – um die Jahrtausendwende vermute, war nicht unbedingt hilfreich.

Jedenfalls war ab dem Zeitpunkt klar, dass es eine radikale Veränderung geben muss. Ich kann KOMA-Script nicht mehr weiterentwickeln, pflegen, Support dafür und für alle möglichen LaTeX-Fragen leisten, mich in die Verwaltung von TeX-Seiten einmischen, DTK-Artikel schreiben, Anleitungen in zwei Sprachen auf dem Laufenden halten, ein Buch zu KOMA-Script alle durchschnittlich 18–24 Monate komplett überarbeiten und einen Großteil der Administrationsarbeit für komascript.de erledigen. Und ich will es auch nicht mehr.

Wie einige wissen dürfte, liegt mein Interesse tatsächlich in der Entwicklung. Wie oben erklärt, fühle ich mich außerdem verantwortlich, Anwendern Hilfestellung zu leisten. Die schönste Entwicklung nützt wenig, wenn sie mangels Dokumentation und auch darüber hinaus gehender Hilfe keine Anwendung findet. Die schönste Entwicklung nutzt nichts, wenn darin enthaltene Fehler ihre Verwendung verhindern. Die schönste Entwicklung nutzt nichts, wenn sie durch externe Entwicklungen unbrauchbar wird. Gleichzeitig bedeutet neue Entwicklung auch immer neue Fehler und immer neuen Bedarf für Dokumentation und Hilfestellung. Die Stelle, an der ich recht einfach mit erheblichen Auswirkungen etwas ändern kann, ist also die Entwicklung. Da das leider mein Hauptinteresse ist, habe ich mich viel zu lange schwer damit getan, die logische Konsequenz zu akzeptieren. Die Entwicklung neuer Dinge in KOMA-Script, so schön sie sein mögen, so weit die Ideen dazu bereits gereift sein mögen, muss aufhören!

Mit dem jüngst veröffentlichten KOMA-Script 3.28 ist daher ein für mich grundlegender Wechsel markiert: Alles, was angedacht, begonnen oder auch schon ansatzweise oder als Prototyp vorhanden ist, ist ab sofort eingestellt. Erweiterungen wird es in KOMA-Script in der Regel nicht mehr geben. Kosmetik und Detailverbesserungen sind möglich, wenn sie wohl begründet sind. Alpha- und Beta-Pakete und überholtes wird aus KOMA-Script verschwinden. Das betrifft ausdrücklich auch tocstyle und scrpage2. Bei komamarks ist es bereits erfolgt. scrlayer-fancyhdr ist ein Wackelkandidat. scrhack als eines der Pakete, bei denen ich ständig der Entwicklung anderer hinterher hecheln muss, steht ebenfalls zur Disposition. Bereits bei KOMA-Script 3.27 habe ich den Workaround für titlesec aus den Klassen entfernt. Damit wurde (erneut) eine seit Jahren verbreitete Warnung Realität. Workarounds für andere Pakete werden eventuell folgen. Erwähnt sei beispielsweise der für das ohnehin veraltete caption2 (von dem ich gar nicht weiß, ob der noch irgend einen Sinn hat). Die meisten dieser Workarounds waren nur als Übergangslösung gedacht, verbunden mit der Hoffnung, dass die entsprechenden Paketautoren selbst irgendwann KOMA-Script-Klassen unterstützen würden, was im Falle von caption2 in Form von caption3 und caption ja auch erfolgt ist. Wäre dies generell erfolgt, wäre übrigens die Verwendung von scrlfile durch die Klassen überflüssig und mir ein GAU des letzten Jahres erspart geblieben.

Da inzwischen durch externe Entwicklungen eine Kompatibilität alter Dokumente mit neuen TeX-Installationen ohnehin nicht mehr gewährleistet werden kann, stehen auch Kompatibilitätseinstellungen wie Option version auf dem Prüfstand. Derartige komplett zu entfernen reduziert einerseits den Pflegeaufwand und das Risiko bei zukünftigen Änderungen etwas zu übersehen. Andererseits birgt das Entfernen selbst ein gewisses Fehlerrisiko. Allerdings nützt die vorhandene Option zunehmend wenig und würde zudem ad-absurdum geführt, wenn sie bei zukünftigen Änderungen unbeachtet bliebe. Ein erster Schritt könnte daher sein, die Dokumentation der Option zu entfernen und sie als veraltet zu markieren. Die logische Konsequenz aus einer solchen Markierung ist dann im nächsten Schritt aber in der Tat das Entfernen.

Mein ohnehin nur wenig bekanntes öffentliche Engagement im allgemeinen LaTeX-Support werde ich ganz nach Lust und Laune ebenfalls zeitweilig bis auf Null reduzieren und jedenfalls einer ständigen, kritischen Prüfung unterziehen. Dass ich oftmals über eine Stunde investiere, um alle erkannten Fehler und Ungereimtheiten in einem gezeigten, nicht minimalen Code aufzuführen, ist letztlich verschwendete Zeit. Die Mehrzahl der entsprechenden Fragesteller ignoriert diese Hinweise ohnehin oder verschwindet sang- und klanglos und schneller als ich meine Hinweise liefern kann.

Ziel des ganzen ist, den Support und die Pflege von KOMA-Script weiterhin leisten zu können. Ideal wäre, wenn dabei auch noch etwas Zeit für andere Dinge abfallen würde.

So bringt das neue Jahr für mich also bereits erste Veränderungen. Weitere liegen im Bereich der Vorsätze.

Bis demnächst
Markus

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