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Ein möglicher Abschied auf Raten

Bild von Markus Kohm

Als ich vor mehreren Jahrzehnten – damals war noch LaTeX 2.09 das Non-plus-ultra – in der LaTeX-Szene aktiv wurde, lag mein Fokus von Anfang an darauf, erkannte Probleme zu lösen. Als LaTeX2e erschien – bzw. schon ein paar Monate zuvor –, war eines dieser Probleme, dass das famose Script-Paket zwar im Kompatibilitätsmodus lief, ich selbst aber für meine Diplomarbeit die neuen Möglichkeiten mit LaTeX2e auch vollständig nutzen wollte. Deshalb habe ich recht früh begonnen, Script zuerst mehr schlecht als recht an LaTeX2e anzupassen und schließlich – als in MausNet und UseNet die Fragen nach Script für LaTeX2e lauter wurden – auf Basis der Standardklassen und Script ein Script2e zu entwickeln. Mitte 1994 erschien dann KOMA-Script zuerst im MausNet und wenig später auch auf CTAN. So bin ich in die Sache hineingerutscht.

Über die Jahre gab es bei der Entwicklung und in der Kommunikation mit den Anwender viele Veränderungen und auch diverse Auf-und-Abs. Ich habe viele tolle Leute kennen gelernt und auch sehr wenige, mit denen ich überhaupt nicht klar kommen konnte. Mit Freude habe ich beim Aufbau und der Etablierung eines der wichtigsten deutschsprachigen LaTeX-Foren geholfen, als so manch anderer Aktive, den ich angesprochen hatte, noch abwinkte und keinen Sinn in einem rein deutschsprachigen Forum sah.

Dass KOMA-Script heute diese Masse an Features enthält, ist genau der Ursprungsprämisse und der Kommunikation mit Anwendern geschuldet. Die Mehrzahl der Features habe ich für mich noch nie genutzt. Sie stellen stattdessen Lösungen für Probleme dar, die an mich herangetragen wurden. In den ersten 20 Jahren gab es außerdem noch einige Dinge, die ich aus reinem Spaß an der Freude entwickelt habe. Das war nämlich der andere Sinn der Geschichte: Es sollte ein Hobby sein und mir Spaß machen.

In den letzten Jahren ist der Spaß aber zunehmend in den Hintergrund getreten und immer öfter fühle ich mich als Getriebener. Nach und Nach habe ich einige Ursachen dafür ausmachen können.

Da war zunächst, dass ich als Forenadmin und als Forenmoderator eine Menge Arbeit und Ärger abseits dessen hatte, was ich eigentlich tun wollte. Schon früh, habe ich deshalb meine Moderator-Rolle in fremden Foren aufgegeben. Schon vor Corona habe ich außerdem das KOMA-Script-Forum quasi dicht gemacht.

Zum Ausgleich habe ich mich dann wieder etwas mehr in besagtem anderem Forum engagiert und mich dort bemüht, auch aus noch so unklar formulierten Fragen irgend etwas Verwertbares heraus zu holen, um eine hoffentlich brauchbare Antwort zu geben. Wobei ich nicht verhehlen kann, dass ich auch immer versucht habe, den Leuten halbwegs vernünftige Typografie und einen möglichst sauberen LaTeX-Stil beizubringen. Typografie ist nun einmal eines meiner Steckenpferde, seit ich mein erstes Buch von Jan Tschichold gelesen habe. Sauberes Arbeiten mit LaTeX ist meiner Meinung nach, ein wichtiger Baustein für den Erfolg. Durchmogeln führt mittelfristig eher zu Frust als Erfolg und schon gar nicht zu Spaß an LaTeX. Ich wollte aber, dass die Leute mittelfristig Spaß an LaTeX bekommen, auch wenn es bedeutete, dass ich oft geschriebene Dinge, ständig wiederholen musste.

Bei KOMA-Script selbst bin ich schon vor längerem zum Schluss gekommen, dass es für einen alleine zu groß geworden ist. Immer mehr Zeit wurde benötigt, um neue Wünsche irgendwie mit dem Vorhandenen in Einklang zu bringen. Immer mehr Zeit wurde benötigt, um Kompatibilität mit Paketen zu erreichen, deren Autoren KOMA-Script nicht kennen, nicht verwenden, nicht wollen. Immer mehr Zeit wurde benötigt, um Kompatibilität mit richtigen Entwicklungen bei LaTeX selbst aufrecht zu erhalten. Das führt auch zu der paradoxen Situation, dass Dinge, die ich mir von LaTeX immer gewünscht habe und jetzt verfügbar sind oder werden, bei mir zu einem Problem werden. Immer weniger Zeit bliebt für das, was ich eigentlich tun wollte. Leider habe ich auch in den Versuchen, andere zu rekrutieren, um die Zeit zurück zu bekommen, versagt. So gesehen ist möglicherweise viel Zeit, die ich in den Umbau des Codes und den Aufbau von Issue-Tracker und Wiki investiert habe, sogar verschwendet. Das wird erst die Zukunft zeigen.

Gestern habe ich scheinbar spontan eine weitere Reißleine gezogen und das letzte deutschsprachige Forum, in dem ich noch aktiv war, zusammen mit einem hauptsächlich durch Spam gekennzeichneten internationalen Forum, in dem ich auch noch aktiv war, aus meinen Favoriten gelöscht. Es gibt jetzt noch genau ein internationales Forum, in dem ich hin und wieder vorbei schaue, nachdem ich es zuvor Jahre lang ignoriert hatte. Ansonsten bin ich nur noch auf einer Mailing-Liste so aktiv, wie man eben auf einer mehr oder weniger toten Mailing-Liste sein kann.

Der Abschied war in Wirklichkeit weit weniger spontan, als es scheinen mag. Denn wie oben erwähnt, drehte ich mich dort eher im Kreis. Meine oben erwähnten zusätzlichen Hinweise wurden eher missbilligend aufgenommen. Häufig habe ich Antworten auch dann aufgeschoben, wenn ich zwischendurch vorbei geschaut habe. Dadurch kamen die Antworten dann teilweise so spät, dass sie wohl auch gar nicht mehr von Interesse waren. Foren sind heutzutage ein schnelles Medium. Was nicht innerhalb von Minuten mit Code beantwortet wird, der in noch so abstruse und unbekannte Vorlagen erfolgreich kopiert werden kann, wird bestenfalls ignoriert, im schlimmsten Fall abgelehnt. Dazu kam bei dem Forum auch noch, dass die Forensoftware leider seit Jahren immer wieder Code verfälscht. Ich musste also nach dem Absenden jedes Mal zusätzlich prüfen, ob die Lösungen in der angezeigten Form auch wirklich noch funktionieren. Auch wenn das nur ein kleines Mosaiksteinchen auf dem Weg zum Ausstieg war. Es gab derlei leider zuviele und am Ende fehlte nur noch ein weiteres solch – für sich gesehen – unwesentliches Steinchen, um das Bild zu vollenden.

Vor einiger Zeit habe ich eine lukrative, temporäre Nebentätigkeit abgelehnt, u. a. weil ich – ich sage das erstmals hier ganz offen – schlicht keine Lust mehr hatte, noch mehr LaTeX zu machen. Da das eigentlich genau die Art Job war, von der ich jahrelang geträumt hatte, war ich ziemlich entsetzt, als ich diese Entscheidung getroffen hatte. Die Erkenntnis, dass ich von Forenarbeit, E-Mail-Support und KOMA-Script-Verwaltung so ausgebrannt bin, dass ich meinen Traumjob, der mich zudem in eine der schönsten Gegenden Europas hätte führen können, ablehne, trifft mich auch heute noch ziemlich. Es war klar, dass sich sehr viel, möglicherweise sehr viel schneller ändern muss, als vorgesehen war und als viele denken mögen. Mein Rückzug aus der Forenarbeit ist eine solche logische Konsequenz. Dass er mich unversehens leicht gemacht wurde, sehe ich am heutigen Tag als Chance. Ob er mir tatsächlich hilft, den Spaß wieder zu finden oder als nächstes die oft verschobene Einstellung von KOMA-Script akut wird, weiß ich nicht. Möglich ist sogar, dass ich all meine LaTeX-Aktivitäten aufgebe.

Auf der anderen Seite hoffe ich eigentlich, dass ich mittelfristig genau daran wieder Spaß finden werde. Seit Jahren schwebt mir eigentlich vor, etwas komplett neues von Grund auf zu entwickeln. Etwas ganz anderes als KOMA-Script und doch insofern sehr ähnlich als es anders sein soll – genau wie damals KOMA-Script anders war als die Standardklassen. Und ob das dann außer in irgend einer Nische öffentlich werden würde, wäre ebenfalls nicht sicher. Die Nutzergruppe wäre ohnehin eher klein. Wie sich in den Foren zeigt, verwenden Anwender nämlich vorzugsweise total veralteten, schrecklichen Code, den sie irgendwo im WWW aufgetrieben oder von einem freundlichen Menschen an der Uni/Hochschule bekommen haben. Aber vielleicht irre ich hier, wie ich schon damals bei KOMA-Script irrte.

Ein paar Schritte stehen bezüglich KOMA-Script noch auf meinem Pflichtenheft. Dazu gehört, diese Seite vollends aus dem Verkehr zu ziehen. Dazu gehört eigentlich auch, noch das eine oder andere Paket aus der KOMA-Script-Sammlung herauszulösen. Ersteres wird mit Sicherheit eher früher als später entweder geregelt oder ungeregelt geschehen. Letzteres hängt von Lust und Laune des einzigen aktiven Entwicklers ab.

Eigentlich ist es Tradition, dass ich meine Blog-Beiträge hier mit »Bis demnächst« beende. Ich denke, dass wäre dieses Mal unangemessen.

Möge die Zukunft hell und friedlich sein!
Markus

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